Gedenken an die Opfer des KZ-Außenlagers Sasel

Das Gymnasium Oberalster legt großen Wert auf historische Bildung und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Veranstaltung zur Erinnerung an das KZ-Außenlager Sasel bietet eine wertvolle Gelegenheit, uns Schülerinnen und Schülern konkrete, historische Orte näher zubringen, die eng mit dem nationalsozialistischen Terror verbunden sind. Für viele Jugendliche ist es wichtig, solche Themen nicht nur theoretisch zu behandeln, sondern auch auf vor Ort zu sehen und verstehen, wie schlimm die damalige Zeit war. Die Gedenkveranstaltung stellt eine Brücke zwischen schulischer Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung her. Für die Schule ist es ein aktiver Beitrag zur kulturellen und politischen Bildung, die über den Unterricht hinausgeht und auch die emotionale und soziale Dimension des Lernens berücksichtigt. Wir am Gymnasium Oberalster fühlen uns geehrt, dass wir die Gedenkveranstaltung organisieren dürfen. Denn für uns ist es nicht nur eine schulische Veranstaltung, sondern auch ein Schritt zur Förderung der aktiven Bürgerbildung, die uns Schülerinnen und Schülern hilft, sich als verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft zu verstehen.

Gedenkveranstaltung am 27.01.2025

“Der SS-Mann ließ sie in der Mitte des Raumes niederknien und befahl uns, einen Kreis um sie zu bilden. Wir standen da, schweigende, eingeschüchterte Zeuginnen, während er sie mit einem schweren Lederriemen schlug. Seine Wut schien grenzenlos. Schließlich brach sie zusammen. Wir durften ihr nicht helfen. Morgen könnte es ich sein, geschlagen oder getötet.”

Diese Worte stammen aus einem Interview mit Lucille Eichengreen, das im Jahr 2004 geführt wurde. Sie lässt uns teilhaben an den schrecklichen Erinnerungen aus ihrer Zeit als Gefangene in der KZ-Außenstelle Sasel vom Sommer 1944 bis zum April 1945. Ihre Erlebnisse sind Zeugnisse der unvorstellbaren Grausamkeit, der sie als Jüdin schutzlos ausgeliefert war. In der Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme mussten die Gefangenen harte Arbeiten verrichten, wie Aufräumarbeiten in der Hamburger Innenstadt oder der Bau der Plattenhäuser in Poppenbüttel.

Am 27. Januar 2025, dem internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, durften wir als Schüler des Gymnasiums Oberalster die Planung und Durchführung der Gedenkstunde vornehmen. Es war ein Moment des Innehaltens, des Erinnerns und des Gedenkens, der nicht nur uns, sondern auch viele andere Besucher erreichte.
Wir als Schüler der Klasse 10C gestalteten die Veranstaltung mit einer Vielzahl von Beiträgen. Ein selbstverfasstes Gedicht, Biographien von Menschen aus der KZ-Außenstelle Sasel, ein Tagesablauf der Gefangenen und berührende Reden füllten die Stunde. Besonders emotional waren die Gedanken und Zitate einiger Personen, die alle noch einmal auf dieses schreckliche Ereignis aufmerksam machten. Der Abschluss der Gedenkstunde war schließlich die Rosenniederlegung und die anschließende Schweigeminute. In der gesamten Zeit spürten wir die aufgewühlte und trauernde Stimmung der Beteiligten. Deshalb war die Botschaft des Tages klar: Wir müssen dafür sorgen, dass sich ein solches Ereignis niemals wiederholt.

Für uns Schüler war es eine bewegende und prägende Erfahrung, uns intensiv mit der Geschichte dieses Ortes auseinanderzusetzen. Es war eine Erinnerung daran, dass das Leid der Opfer nie vergessen werden darf und die Würde des Menschen unantastbar ist.

Klasse 10c

Tagesablauf im KZ

Der Tag begann jeden Morgen schon um 4:30 Uhr. Geweckt wurden sie durch eine Trillerpfeife. Die Frauen mussten ohne Unterbrechung 12 Stunden arbeiten und durften nicht einmal ihre Notdurft verrichten. Nach dem Aufstehen hatten sie nur eine halbe Stunde, um ihre Betten in militärischer Art herzurichten, sich zu waschen und zu „frühstücken“. Zum Frühstück gab es nur einen halben Liter Kaffeeersatz oder Tee. Die Arbeitszeit begann schon um 7 Uhr in der Früh und gearbeitet wurde bis es dunkel war. Vor der Arbeit mussten sie sich zum Abzählen aufreihen und zur Arbeit mussten die Frauen anfangs zu Fuß gehen, später konnten sie auch mit dem Zug fahren.

Gearbeitet haben sie in Fabriken und beim Bau. Dabei mussten sie Bombenschäden beseitigen und Behelfswohnheime errichten, wie die Plattenhäuser in Poppenbüttel, von denen heute nur noch ein beispielhaftes existiert. Währenddessen wurden sie von einem Zivilmeister und der SS (Schutzstaffel) mit Gewehren und Pistolen bewacht. Ihre Kleidung bot ihnen keinen Schutz gegen Witterung und Verletzungen. Zu essen gab es täglich nur eine Scheibe Brot und die Arbeit war unbezahlt. Die wenigen ihnen ausgegebenen Lebensmittel waren oft alt und verdorben, weshalb die Frauen sich kurz vor dem Hungertot befanden.

KZ Sasel:
Das KZ Sasel war eines der sieben Frauen-Außenlagern des Konzentrationslagers Neuengamme. Das Außenlager existierte vom 13. September 1944 bis zum 5. Mai 1945. Insgesamt 500 Frauen waren eingesperrt. Allein 35 Frauen starben an Entkräftung und Krankheiten. Um nicht an der Arbeit gehindert zu werden, erhielten die Frauen Medikamente zur Unterbrechung der Menstruation. Viele dieser Frauen erkrankten daran. Am 7. April 1945 ließ die Schutzstaffel das Außenlager räumen und die Frauen wurden mit der Bahn in das „Auffanglager” Bergen-Belsen gebracht. Zwei Wochen später wurde das Außenlager erneut mit weiblichen Häftlingen belegt, zehn Tage später folgte die Kapitulation Hamburgs.

Den Toten zum Gedenken, den Lebenden zur Warnung

Das Zitat eines Gedenksteins in Hamburg,
erinnert an die damalige Geburt von Hass
und des Todes Spurt.
Grau und groß steht der Felsen der Zeit
vom Leiden der Menschen damals
geweiht wartet er stets Bereit auf den
Anbruch einer neuen Zeit
Die KZs – Fabriken des Todes genannt,
Hier wurden Leben mit Hass verbrannt.
Frauen, Männer, Kinder klein,
Wurden Nummern, durften nicht mehr
sein.

Arbeiten mussten sie Tag und Nacht, ich
frage mich was sowas mit einem macht.
Heute steht die Menschenwürde an
erster Stelle im Grundgesetz, damals
wurde sie einfach außer Kraft gesetzt.
Die Welt sah zu, so scheint es mir,
Haben alle weggeguckt – und wofür?
Ein Führer sprach, die Menge schrie,
Doch wo blieb Menschlichkeit? Die gab
es nie.

Die Zeit ohne Angst und Schrecken
sollte uns alle aus dem ewigen Schlaf
erwecken drum müssen wir ganz ohne
Zier dafür arbeiten im jetzt und hier.
Es reicht nicht, sich nur zu erinnern,
Wir müssen den Hass von heute
verringern.

Denn sonst wird die Geschichte uns
belehren,
Und wir lassen erneut die
Menschlichkeit sterben.
Wir lernen das heute im Unterricht,
Doch ich frage mich: Ändert es was oder
nicht?
Wenn Hass so leicht wieder brennen
kann,
Und Menschen wegsehen – fängt es von
neuem an

Johanna Becker und Lara Korioth 

Es gab wenig Brot, eine tägliche Scheibe war in Sekunden verschlungen. Wir träumten von Brot, fantasierten von Brot, stellten uns einen unerschöpflichen Brotlaib vor.

Lucille Eichengreen in einem Interview 2004

Biographie von Emmy Massmann

Immer hören wir die Zahlen der Opfer des Holocausts, doch selten hören wir deren Geschichten. Es ist uns wichtig, dass diese nicht verloren gehen. Deshalb wollen wir Sie über Emmy Massmann und Theresa Stiland informieren.

Emmy Massmann wurde am 11. Mai 1906 in Wilhelmshaven geboren, lebte jedoch später mit ihrer Familie in Eckernförde. Sie betrieb dort eine Gaststätte. Im Mai 1944 wurde sie verhaftet, obwohl sie nicht streng gläubig war. Dennoch galt sie als Jüdin, weil sie drei jüdische Großeltern hatte. Sie wurde in das Polizeigefängnis Kiel gebracht. Nach zweieinhalb Monaten Aufenthalt wurde sie in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Da sie aber als arbeitsfähig galt, kam sie im Herbst 1944 in das KZ Bergen-Belsen. Ende 1944 kam sie dann in das Außenlager „Reitschule“ des KZ Neuengamme in Braunschweig. Dort mussten die Frauen Trümmer räumen, was sehr anstrengende Arbeit war, vor allem da sie nur wenig Essen bekamen. Emmy Massmann gelang es, in ihrer Position als Funktionshäftling im Außenlager Braunschweig, zusätzlich Nahrungsmittel für ihre Mithäftlinge zu “organisieren”. Aus ihrem Bericht von 1945:

„Arbeiten mussten wir hier in Abbruch. Von den Bombardements, den Schutt und die Steine aufräumen. Ich hatte Glück und wurde gleich Vorarbeiterin und dann Anweiserin. […] Es war ein Polizeikommando und [wir] arbeiteten auf dem Polizeihof. Es war das beste Kommando. […] Bald wusste ich, dass die Polizisten auf der Wache essen mussten und viel Essen übrig blieb. Jetzt organisierte ich das erste Mal. […] Ein Polizist und ich brachten das [Essen] runter in den Heizraum, wo es schön warm war. […] Abends war oft Kontrolle, wenn wir von der Arbeit kamen. Unser Kommando galt als das Beste und wurde nicht kontrolliert, weil sie glaubten, wir konnten bei der Polizei ja nicht organisieren.“

Aufgrund dieser schlimmen Lebensbedingungen erkrankte Emmy Massmann bald an Flecktyphus, eine Infektion die durch Läuse übertragen wird. Danach kam sie in das Außenlager Helmstedt-Beendorf, wo sie in Salzstöcken für Askania-Werke Flugzeugteile produzieren musste. Aufgrund ihrer Krankheit musste sie 13 Tage im Krankenrevier verbringen. Am 21. April erwartete sie ein 10-tägiger Räumungstransport zum Außenlager Hamburg-Sasel, und danach Außenlager Eidelstedt. Sie verblieb nie lange an einem Ort. Sie wog nur noch 38 Kilo. Am 1. Mai 1945 wurde sie glücklicherweise durch das schwedische Kreuz gerettet und nach Schweden gebracht. Leider sind viele Häftlinge noch vor der Evakuierung gestorben.

Emmy Massman beschreibt 1945 ihren Transport nach Schweden:

„Nach zehn Tagen hieß es wieder auf den Transport gehen. Wohin? Wohin? So fragten wir uns. Nur die Juden hieß es. […] Unterwegs weinte alles. […] In Eidelstedt kamen wir dann noch einmal einen Tag ins Lager […]. Nun ging es wieder auf Reisen und das war die Reise in die so genannte Freiheit. Noch einmal einen Tag und eine Nacht in den Viehwagen mit 55 Personen. Dann fuhren wir über Neumünster, Rendsburg, Flensburg nach Dänemark. Hier war es mit dem Hunger vorbei.“

Im Juli 1945 begann sie, ihre Erlebnisse mit Briefen ihrem Ehemann zu berichten. 1946 kehrte sie zurück nach Deutschland. Sie starb am 12. Juli 1991.

Wenn wir dann den nächsten Zeitabschnitt in Neuengamme nehmen, so ist das die Zeit der Erniedrigung. Und es ist die Zeit, in der einem der Name weggenommen wird. Man wird zu einer Nummer…

Marcel Debeeken in einem Interview 1991

Biographie von Teresa Stiland

Teresa Stiland wurde am 2. Juli 1925 als Matla Rozenberg in Czestochowa, Polen, geboren. Sie war das älteste von sieben Kindern einer jüdischen Familie und wuchs bei ihrer Großmutter in Lodz auf, da ihre Mutter früh erkrankte. Mit 14 Jahren wurde sie nach dem Einmarsch der deutschen Truppen ins Ghetto Lodz gebracht, wo sie in einer Sattlerei arbeitete. Ihre Eltern, Großmutter und Geschwister wurden ins Ghetto von Czestochowa verschleppt und später in Treblinka ermordet. Somit hat sie schon in jungen Jahren fast ihre komplette Familie verloren.

Im August 1944 wurde Teresa nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie als arbeitsfähig eingestuft und nach Hamburg in das KZ-Außenlager Neuengamme gebracht wurde. Dort musste sie Trümmer räumen und später in Sasel Zwangsarbeit beim Bau von Behelfsunterkünften leisten. Dort berichtete sie: „Wir baten, die Bomben sollten auf uns herunterfallen. Wir wollten nicht mehr leben. Das war kein Leben. Das war doch ein unmenschliches Leben.“ Sie mussten jeden Tag so lange arbeiten, bis sie nicht mehr konnten. Essen und Trinken waren Mangelware und das führte dazu, dass Teresa nur noch 26 kg wog:  „Wenn man uns durch die Straßen geführt hat, haben uns die Leute angeschaut und gefragt: ‚Wer ist das was sind das für Frauen?‘ Die SS-Leute haben dann gesagt, das sind politische Verbrecher.“ (Teresa Stiland 1986)

Nach der Räumung des Lagers im April 1945 wurde sie ins KZ Bergen-Belsen deportiert, wo sie kurz vor Kriegsende von britischen Soldaten befreit wurde.

Nach dem Krieg kehrte Teresa nach Polen zurück, konnte jedoch keine Überlebenden ihrer Familie finden. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester und änderte aufgrund des Antisemitismus ihren Vornamen von Matla zu Teresa. 1957 emigrierte sie nach Paris, wo sie einen Onkel wiederfand, heiratete und eine Tochter bekam.  Trotz ihrer traumatischen Erlebnisse, darunter Zwangsarbeit, Luftangriffe und schwerste Entbehrungen, fand sie in kleinen Gemeinschaften mit anderen Frauen Halt. 2001 besuchte sie Hamburg und die Gedenkstätte Plattenhaus Poppenbüttel, um an ihre Vergangenheit zu erinnern.