Hermes – Einblicke in eine Schülerzeitung der 1980er

Von Sophia Varughese, S4

Vorbemerkung:
Als ich dieses Projekt begonnen habe, hatte ich viele Vorstellungen zu dem möglichen Inhalt der Schülerzeitung. Und obwohl ich zuvor bereits mit Schülerzeitungen aus der Vergangenheit gearbeitet habe, wurde keine meiner Vorstellungen dem wirklichen Inhalt des „Hermes“ gerecht. Mit der Arbeit an den Texten wuchs meine Begeisterung stetig und es erstaunt mich noch immer, wie sehr ich die Emotionen und Ansichten nachempfinden kann, die die Schülerinnen und Schüler bereits vor 40 Jahren beschäftigt haben. Deswegen finde ich es auch so wichtig, diese Einblicke in den Schulalltag der 1980er-Jahre zu teilen, damit sie nicht im Archiv verstauben, sondern damit die Erinnerungen weiterleben können, was sie ja anscheinend ohnehin schon tun, wenn man die vielen Ähnlichkeiten betrachtet. Der „Hermes“ hat es geschafft, uns zu informieren, ob nun damals zur Gegenwart oder heute zur Vergangenheit des GOAs. Früher wie heute.
Viel Vergnügen bei der Lektüre!

 

Nostalgie – einen Blick in die Vergangenheit wirft jeder gerne mal. Unser Schularchiv ist eine besondere Fundgrube, um die Geschichte des GOAs zu erkunden. Der große Bestand von Schülerzeitungen aus verschiedenen Jahrzehnten verrät uns viel über die Schülerinnen und Schüler, Ereignisse, Probleme und Humor beispielsweise aus den 1960ern. Aber ich habe mich dazu entschieden, die 1980er zu untersuchen und bin dabei auf die Schülerzeitung „Hermes“ gestoßen, wobei ich mir eine Ausgabe näher angeschaut habe.

Hermes – der Götterbote. Ein Informant, dessen Berufung sich auch die Redaktion der Schülerzeitung zur Aufgabe gemacht hat. Mit kritischen Texten, beeindruckenden Gedichten, wilden Comic-Zeichnungen und Neuigkeiten rund um die Schule ist für jede Altersgruppe etwas dabei.

Ein Artikel zum Ruf des GOAs hat sofort mein Interesse geweckt. Unter dem Titel „Wie sehen uns die Anderen?“ veröffentlichten Stephan Tiedemann und Fabian Stancke damals einen Artikel im „Hermes“.

Die beiden jungen Journalisten hörten sich damals in der Gegend nach der Meinung von Schülern anderer Schulen zum GOA um. So befragten sie beispielsweise Schüler des Gymnasiums Harksheider-Straße, welches heute das Heinrich-Heine-Gymnasium ist. Obwohl ihre Umfragen positiver als erwartet ausfielen, gab es doch einige negative Vorurteile, die das Meinungsbild der Befragten prägte.

Da stellte sich mir die Frage, ob unsere Schule noch heute als stolz, konservativ und elitär wahrgenommen wird. Von Schülern des Gymnasiums Buckhorn und des Heinrich-Heine-Gymnasiums erfuhr ich, dass wir zwar eine „Bonzenschule“ mit ausschließlich reichen Schülern, die in Villen wohnen, abgehoben und spießig seien, aber immerhin gelten wir heute eher als fortschrittlich und werden um das GOApuccino beneidet. In den 1980ern wurden die Schüler zumindest als intelligent und gebildet gesehen, doch davon ist nach meinen eigenen Umfragen nur noch die Reputation der Streberschule übriggeblieben, die laut einigen anspruchsvoller als ihre eigene Schule, anderen Auskünften zufolge aber genauso fordernd sei.

 

Ich denke, dass es doch schwerfällt, den Leistungsanspruch von der Schule im Allgemeinen abhängig zu betrachten, wenn doch der Unterricht und die Arbeiten bei jedem Lehrer anders gestaltet und die Benotung auf verschiedene, manchmal für einige nicht ganz verständliche, Wege erfolgt.

Trotz dieses eher negativ behafteten Eindrucks, der den Schülerinnen und Schülern anscheinend vererbt wird, kommen die zwei Jungredakteure damals zu dem Fazit, „doch das sichere Gefühl [zu haben], auf einer Schule zu sein, die ein sehr positives Image hat“ und stellen sich zum Schluss dennoch die Frage, ob „die Harksheider nur zu höflich [waren]“.

Obwohl es auch heute positive Wahrnehmungen gibt und wir um die moderne Ausstattung (wenn sie zuverlässig funktioniert), die Größe der Bibliothek und der Aula beneidet werden, scheinen sich fast alle Komplimente auf reine Äußerlichkeiten zu beschränken. Der aus meiner Sicht positive, wahre Charakter des GOAs wird auch heute oft durch den Ruf der angeblich so privilegierten, reichen und arroganten Schülern überdeckt.

Ich finde es schade, dass wir bis heute diesen Anschein erwecken, da trotz dem Kernchen Wahrheit, welches bekanntlich oft in Gerüchten steckt, eine Gemeinschaft von Schülern und Lehrern entstanden ist, die sich mit Hilfsbereitschaft entgegenkommt und definitiv mehr Vielfalt besteht, als uns zugeschrieben wird.

Doch nicht nur bei Schülern anderer Schulen bürgerte sich teils ein schlechtes Image ein – auch einige Erwachsene schlugen sich mit den GOAnern herum.

 

Schüler gegen Schüler, Schüler gegen Lehrer, Schüler gegen Supermärkte?

Je tiefer ich in die Geschichte des GOAs der achtziger Jahre eintauche, desto mehr faszinieren mich die vielen Ähnlichkeiten zu unserer Schule heute. Der „Bolle“-Supermarkt, den es bereits seit 1917 gab und der 1970 auch 20 Filialen in Hamburg hatte, war 1987 eine sehr beliebte Anlaufstelle für GOAner, die dort ihre Pausen verbrachten und sich mit Süßigkeiten „ausrüsteten“.

Heute quetschen sich jede Pause etliche GOAner durch die engen und vertrauten Gänge von „Nahkauf“, bevor sie sich schwer bepackt zurück in die Schule schleppen, um den Kampf gegen Mathe-Aufgaben mithilfe von Traubenzucker, Schokolade und Cola anzutreten. Früher wie heute. Vor ca. 37 Jahren lautete die Überschrift eines Berichts von Lennart Andresen, in dem der Konflikt mit Humor und Ironie die Seite der beschuldigten Schülerinnen und Schülern darstellt: „Der Konflikt hat sich zugespitzt“. Vandalismus, Diebstahl – das waren die Vorwürfe.

 

Früher wie heute sind Supermärkte der Überzeugung, von Schülermassen überrannt zu werden, wobei sich die kleinen Diebe offenbar allerhand in die Jackentaschen stopfen und sich an den Kassierern vorbei mogeln. Im Bolle sorgte eine „Alte, […] die einem die Pause verhunzte“ dafür, dass Recht und Ordnung im Supermarkt herrschten und im Nachhinein erschien es selbst den kritischen Journalisten vom GOA „doch recht logisch, daß jemand so griesgrämig wird, wenn ihn die Leute anmosern, weil man sie am Klauen hindert“.

Da sollte man doch meinen, die „Rich Kids“ vom GOA können sich 1980 einen Snack in der Mittagspause leisten, und doch kam es wohl des Öfteren zu solchen Diebstählen. Vielleicht wurden einige Schüler nur aus Spaß an der Freude zu Süßigkeitendieben? In dem Artikel wird der Bolle als „kollektiver Arbeitsplatz für Amateurdiebe und als Absorptionsstätte für Guck-mal-wie-cool-ich- bin Verhalten“ bezeichnet, was die Beziehung des Geschäfts zu den Schülern ziemlich treffend zusammenfasst.

Doch ob der Entzug von Kinderschokolade (eine „ziemlich grundlegende Verhaltensänderung“) oder das Adrenalin, das Tatmotiv spielt keine Rolle und wie der Titel des Berichts verrät, folgten Konsequenzen: ein Dreifrontenkrieg – die Schüler gegen Supermarkt gegen Schule, wobei Letztere in die Rolle des Vermittlers schlüpfte…

Damals wurde eine neue Regel eingeführt: „es wurden nur ca. 5 Schüler maximal zur selben Zeit im Laden geduldet“, wodurch „sich Warteschlangen an der Tür bildeten und „die Fronten sich verhärteten“. Anschließend wurde die „totale Ladensperre“ verkündet, ein Verbot für alle GOAner, den Bolle zu betreten.

Die Schule versuchte, die Parteien zu beschwichtigen – vielleicht war das Essensangebot in der Schule damals zu begrenzt (es gab ja noch keine Schulkantine), dass sogar die damalige Schulleitung Mitleid mit den armen, verhungernden Schülern hatte? Dazu lassen sich leider keine Berichte finden.

Doch wie bereits erwähnt, kommt es auch heute zu Problemen. GOAner bilden eine große Einnahmequelle für Nahkauf, von Hausverboten habe ich noch nichts gehört. Stattdessen mussten einige natürlich unschuldige Schüler sich durchsuchen lassen und ihre Jackentaschen leeren, die jedoch meist nicht mit Beweismitteln, sondern mit gähnender Leere gefüllt waren. Sobald das Geschäft verlassen worden war, wichen die Unschuldsminen einem genervten Augenrollen.

Die Schüler brauchen Nahkauf, Nahkauf braucht die Schüler: Es ist eine neue Vertrauensbasis entstanden und die Gänge bleiben gefüllt. Die Fronten reichen sich die Hände – die eine Hand mit Geld gefüllt, die andere mit zuckrigem Proviant.

Und so endete schließlich unser Kampf und wenn die Schüler nicht über ihren Hausaufgaben eingeschlafen sind, so nehmen sie noch heute den langen Wanderweg auf sich, um die Geschäfte „auszuplündern“ und ihre Mägen zu füllen.

 

Früher wie heute. Wie es aussieht, war früher wohl auch nicht alles besser.

„Früher war alles besser“ – ein sehr bekannter und verbreiteter Spruch, und doch habe ich nach meiner Recherche den Eindruck, dass sich eigentlich kaum etwas verändert hat. Vielleicht ist es die Wahrnehmung, die sich mit dem Alter stetig entwickelt. So bildet insbesondere die Wahrnehmung der Jugend eine Konstante in der Zeit, die bereits in der Antike eine Rolle spielte.

„Die Jugend von heute liebt den Luxus, hat schlechte Manieren und verachtet die Autorität. Sie widersprechen ihren Eltern, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer“, ein Sokrates (470-399 v. Chr.) zugeschriebenes Zitat.

Ulf Schrader, einer der Chefredakteure, schrieb ein Gedicht über die Jugend für den „Hermes“. Im Zentrum stand dabei aber nicht das Porträtieren der Jugend als verkommen oder die Frage, was Jugendliche falsch machen, sondern schlicht und ergreifend „Was ist Jugend?“ Der Autor fängt in diesem Gedicht diverse Blickwinkel ein, indem er eine Reihe von den verschiedensten Antworten auf diese Frage bietet.

 

„Bunt, grell, froh“, „Peng! Whumm! Smash!“ – Die Jugend als die Revolution selbst, das Neue, Lebendige, Freie und Rumorende. Da würde sicher der ein oder andere Nachbar widersprechen, der den Partylärm ertragen muss. Aber durch Ulf Schraders Darstellung wird eines klar: Anstrengend und chaotisch hin oder her, die Welt würde ohne die Jugend trister und langweiliger sein. Die Jugendlichen bringen den Schwung, der alle auf Trab hält, bringen die Ideen, die Erwachsenen schwachsinnig vorkommen, bringen Veränderungen, die die Welt bewegen können. Sei es die Kunst, die Politik, Musik oder Kleidung, es ist immer die junge Generation, die Einfluss nimmt und für ordentlich Trubel sorgt…

Bis diese Generation irgendwann älter wird, idealistisches Denken dem Realismus Platz macht und ein Wein am Wochenende die wilden Parties ersetzt, die den Boden mit Bierflecken und die Kleidung mit Schweiß vom Tanzen hinterlassen. Und dann folgen aber auch schon die neuen Krawallmacher, es gibt kein Entkommen. Für die Erwachsenen fühlt sich das oft wie Quälerei an und trotzdem erinnern die meisten sich doch gerne an ihre Jugend zurück. Denn die Zeit ist so geprägt von Rauschgefühlen, Unabhängigkeit, Spaß und Freundschaft, dass man fast alles Negative ausblendet, wenn man den Kindern von der eigenen Jugend erzählt und in Erinnerungen schwelgt.

In diesem Zyklus steckt doch das Schöne, das Besondere. Es wird immer eine Jugend geben, die auf ihre unbändige Art und Weise ihre eigenen Ideale verfolgt. Und es wird immer die Eltern dieser Generation geben, die sie zum Nachdenken anregt und wenn nötig auch mal bremst, auch wenn die Gründe ihnen oft noch nicht einleuchten.

 

Pass dich an oder stirb

Zu der Feststellung, dass sich in den letzten 40 Jahren nicht viel verändert zu haben scheint, bin ich mittlerweile längst gekommen. Obwohl beispielsweise das Bolleverbot dies verdeutlicht, habe ich einen Text von Anabell Stüvel gefunden, bei dem es wahrscheinlich keinem Leser auffallen würde, wenn man ihn unter falschem Datum heute veröffentlicht hätte.

 

In “Pass dich an oder stirb” drückt die damalige GOAnerin ihre Wahrnehmung zum Leistungsdruck, das Anpassen an andere Schüler und Erwartungen sowie die dadurch entstehende Frustration der Jugendlichen aus.

Der Erfolg im Leben werde durch die in der Schule erbrachten Leistungen und die Berufswahl bestimmt, Freunde würden zu Konkurrenten und die Individualität müsse einer Konformität weichen, die durch die Schulbehörde sogar gefordert wird. So lautet die Kritik der Schülerin. Auch heute sorgen sich viele Schülerinnen und Schüler ständig um ihre Noten, denn: Was, wenn sie dann nicht den NC erreichen, der ihnen das Medizinstudium ermöglicht? Der Traum zerplatzt, wenn sich zu viel Druck in der Blase dieses Wunsches anstaut. Ist nicht die freie Entfaltung genau das, was durch die Schule gefördert werden sollte? Nach dem Schulabschluss sollte einem jungen Menschen die Welt offenstehen, doch oft verliert man während ewiger Klausurenphasen den Blick für all die Möglichkeiten, da die Ziele, die man sich gesetzt hat, unerreichbar scheinen.

Ich habe mich in meiner Stufe (S4) dazu umgehört, wie die Schülerinnen und Schüler heute zu dem Thema Leistungsdruck stehen. Dass das Abitur als essenziell gilt und eine Voraussetzung für viele Berufe ist, scheint die meisten zu beschäftigen. Einige sind der Meinung, der Druck entstehe meist weniger durch die Schule, sondern viel mehr setze man sich selbst unter Druck, da man eigene Erwartungen hat. Andere haben das Gefühl, den Ansprüchen ihrer Familie gerecht werden zu müssen. Und auch die Gesellschaft scheint einen Anteil zu haben. „Was machst du nach der Schule?“, „Was studierst du nach dem Abi?“, Fragen, die den meisten Abiturientinnen und Abiturienten an unserer und sicher auch anderen Schulen zum Hals heraushängen. Es vermittelt immer den Eindruck, als gäbe es außer Studium keine Alternative nach der Schule und als müsse man mit 17 oder 18 Jahren schon einen ganzen Lebensplan konzipiert haben, von dem nicht abgewichen werden darf. Obwohl die Fragenden meist nicht beabsichtigen, zusätzlichen Druck zu schaffen, zerbrechen sich doch viele Schülerinnen und Schüler den Kopf über die Antwort – ihre Zukunft – und fürchten sich vor dem völlig neuen Leben, das sie nach der Schule erwartet. Ein Leben, wie sie es noch nie kannten, da sie 12 von 18 Jahren ihres Daseins in einem Umfeld verbracht haben, das einen strukturierten und vertrauten Alltag geboten hat.

 

 

Ich denke, dass es oft schwerfällt, die drängenden Erwartungen, die unzähligen Ziele und die maßgebenden Noten einfach mal auszublenden, und sich auf die kommende Zeit zu freuen, die neue Erfahrungen, zukünftige Erinnerungen, Hoffnungen und vielfältige Möglichkeiten mit sich bringen wird. Vielleicht werden Schülerinnen und Schüler in weiteren 40 Jahren ausschließlich mit Freude in die Zukunft blicken können, wobei wahrscheinlich aber jeder mal zweifelt oder ein bisschen Angst vor dem Ungewohnten hegt? Vermutlich wird sich aber wenig ändern…

Anabell Stüvel stellt sich am Ende ihres Textes die Frage: „Heißt es also sich anzupassen und alles zu dulden, da wir sowieso machtlos sind?“

Ich stelle mir die Frage: „Heißt Schulabschluss für dich selbst zu entscheiden und deinen eigenen Weg einzuschlagen, um das zu finden, was dich selbst glücklich macht und erfüllt?“

Die Antwort: Ja, auf jeden Fall.

 

Sophia_Hermes