Damit war die Schulleitung sehr mutig. Nicht nur der äußere Rahmen und die Organisation der Gedenkveranstaltung wurde der Schülervertretung übertragen, sondern auch deren Inhalt in Form der Gedenkrede. Was würde passieren, wenn in der Rede eine Abrechnung mit der Ära Adenauer und dessen Westorientierung erfolgen würde? Der Vietnamkrieg und Kritik an den USA hochkäme? Die Verantwortung der Elterngeneration für die Verbrechen während der NS-Diktatur eingefordert würde?
Nun, lesen Sie selbst (Dokument D2). Das alles trat nicht ein. Irgendwie auch typisch GOA: Viel Eigenverantwortung für die Schülerinnen und Schüler, auch Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, dafür aber auch ein Einhalten von Rahmenbedingungen, indem eben die Gedenkfeier nicht politisch „umgedreht“ wurde.
Aus heutiger Perspektive ist die Würdigung Wolf H. Knipfers fast schon zeitlos gelungen. Die Fakten sind korrekt, die Einschätzungen bis heute durch die Forschung nicht grundlegend widerlegt und zwei Inhalte lassen aufmerken: Wolf H. Knipfer spricht sehr deutlich von der faktischen Anerkennung der neuen Ostgrenze Deutschlands, die schon 1945 in einem Interview erfolgt sei und der Redner ist pessimistisch, dass „das Verhältnis der Machtblöcke in absehbarer Zeit eine Fortführung seiner [Adenauers, HS] Politik in Bezug auf die Wiedervereinigung nicht zulässt“. (Wenn Sie mehr über Adenauer erfahren möchten, ist die zweibändige Biographie von Hans-Peter Schwarz weiterhin erste Wahl, kürzer und spannend zu lesen ist: Werner Biermann: Konrad Adenauer. Ein Jahrhundertleben. Berlin (Rowohlt) 2017.)
Hier ist sie, die neue Ostpolitik, die ab 1969 unter der Führung des Bundeskanzlers Willy Brandt in einer SPD-FDP-Koalition Gestalt annahm – und hier ist vielleicht auch die grundlegende Skepsis der 1968-Generation zu erkennen, die so viele Mitgliedern dieser Generation 1989/90 an einer Wiedervereinigung zweifeln ließ. Aber das ist nur eine Vermutung, der Inhalt der Rede von 1967 weist eher in eine andere Richtung.
Doch lesen Sie selbst und bilden Sie sich ein Urteil. Und staunen Sie, zu welchen Leistungen unsere Schülerinnen und Schüler am GOA schon immer fähig waren.
Dr. Helge Schröder