Der Mauerfall – ein riesiger, bedeutender Meilenstein in der deutschen Geschichte. Es war die erste friedliche Revolution in Deutschland und das innerhalb einer Zeit der Propaganda in der DDR. Jeder hat schon davon gehört, doch wie haben es Zeitzeugen erlebt? Alle zehnten Klassen nahmen diesen Mittwoch (21.6.23) in der Aula einer Veranstaltung teil, in der die Zeitzeugen Jörg Stieler und Jan Pagels von ihren Erlebnissen erzählten, wie sie flohen und den Mauerfall miterlebten. Die Veranstaltung wurde von der Bundesstiftung Aufarbeitung und dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands unterstützt.
Die Befragung wurde von vier SII-Schülern – Jette Kienemund, Hendrik Kröger, Greta Müller und Mia Roeger aus dem Geschichtskurs von Herrn Schröder geleitet, die sowohl eigene Fragen, als auch die Fragen der Zehntklässler aufnahmen. Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10d hatte die Aula vorbereitet. Nach der Begrüßung durch Herrn Dr. Widmann und Herrn Dr. Schröder begannen die beiden Herren sich vorzustellen. Dabei erfuhr das Publikum, wie Jörg Stieler im Alter von 16 Jahren mit seiner Mutter mit dem Zug nach Budapest, dann durch die (bezahlte) Hilfe eines Fremden nach Österreich und von dort aus in die Bundesrepublik floh. Und das drei Wochen vor dem Mauerfall. Jan Pagels wiederum musste genau zur Zeit des Mauerfalls seinen DDR-Wehrdienst ableisten, war also in der Kaserne und erhielt daher die Nachricht des Mauerfalls erst am Morgen des nächsten Tages. Sie beide sahen dieses Ereignis aus zwei verschiedenen Blickwinkeln. Jörg Stieler war schon früh klar geworden, dass er das System der DDR nicht unterstützen wollte. Sein Ziel war es, das Land zu verlassen und in die Bundesrepublik zu fliehen, auch wenn er dann alles, insbesondere seine Freunde, aufgeben musste: Besuche würden für ihn als „Republikflüchtling“ dann nicht mehr möglich sein. Jan Pagels hingegen wollte nicht gehen und passte sich daher soweit an, dass er den Wehrdienst antrat.
Eine Ausreise war grundsätzlich auch mit Beantragung möglich, jedoch beschreiben die Zeitzeugen einen Ausreiseantrag als „das Ende des Lebens“, da man durch diese Anfrage riskierte, ein Arbeitsverbot zu erhalten. Deswegen erläuterte Jörg Stieler, wie seine Mutter und er heimlich planten, die DDR zu verlassen. Nicht einmal seinen engsten Freunden durfte er etwas davon erzählen oder sich von ihnen richtig verabschieden. Das hing mit der Angst vor der Staatsicherheit zusammen, denn man wusste nur, dass es sie gab, aber nicht, wer sie genau war. So könnte man sich vorstellen, dass selbst die eigene Frau der Stasi angehören und hinter deinem eigenen Rücken Berichte über einen schreiben könnte. Daher herrschte auch keine Meinungsfreiheit, weil jeder Kommentar negativ gewertet werden könnte. „Selbst wenn man sich in der DDR über das Fehlen von Bananen beschwerte, wurde man von den Leuten schon komisch angeguckt”, so einer der Zeitzeugen. Es habe auch Stasi-Agenten gegeben, die Witze über die DDR erzählten und dann aufschrieben, wer darüber gelacht habe.
Ein besonders prägendes Erlebnis Jörg Stielers war es, als nach und nach Jungen aus seiner damaligen 10. Klasse aus dem Unterricht zu der Direktorin geholt wurden. Als er schließlich selbst zur Direktorin gerufen wurde, war in ihrem Raum auch ein uniformierter Soldat. Sie versuchten ihn von der „freiwilligen“ Meldung zu einem dreijährigen Militärdienst zu überzeugen. Als er den Raum nach 15 Minuten verließ, war er schweißgebadet. So wird nochmals deutlich, wie unterschiedlich die DDR und unser heutiges Deutschland sind.
Jörg Stieler und Jan Pagels berichteten dazu beide von der normalen Schulzeit, die dem Militär in einigen Punkte ähnelte, sodass sich die damaligen Schüler beispielsweise nach Größe sortieren und Apelle halten mussten. Auch der Umgang mit Waffen wurde ihnen bereits in jungen Jahren beigebracht.
„Zeitzeugen sagen nicht die historische Wahrheit, sondern ihre Wahrheit.“ Jeder hat den Mauerfall damals anders erlebt und ihn anders aufgenommen. Für einige war es eine Erlösung, für andere aber auch ein großer Schock. Jeder hat seine eigene Wahrheit. Fragt doch mal eure Eltern, wie sie den Mauerfall erlebt haben und hört euch ihre Wahrheit an.
Text von Linnéa Sommer und Carla Peinemann (10d)