Belize: Was macht denn Latein Ihrer Meinung nach als Fach so lohnenswert?
Bach: Wenn ich die verschiedenen Fächer nach ihrer Wichtigkeit für mich und die Gesellschaft bewerten sollte, dann denke ich, dass Naturwissenschaften, Deutsch und Englisch den Kern darstellen. Ohne Englisch kann man heutzutage keine Fachliteratur lesen, ohne Naturwissenschaften die Welt nicht verstehen und weiterbringen und ohne Deutsch kann man sich nicht ausdrücken. Welche Rolle spielt hier Latein? Ich habe viele Jahre lang Werbeveranstaltungen für Latein gemacht und dabei immer drei Sachen herausgestellt. Erstens lernen wir Latein, um die Gegenwart zu verstehen, vor der Folie der Antike. Was bedeutet die Freiheit, die wir haben? Was bedeutet die Uhrzeit? Das zweite ist, dass man tatsächlich Lernen, Pauken lernen kann. Wir leben ja heute in einer Welt, wo man möglichst alles verstehen und Kompetenzen erwerben soll, aber Latein ist etwas, wo man richtig pauken und lernen muss. Und das dritte ist, dass man Latein lernen kann, um Deutsch zu lernen.
Belize: Dann kommen wir jetzt zu einem lateinischen Zitat, mit dem wir Dative gelernt haben, und zwar: „non scholae sed vitae discimus” – „nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir”. Inwiefern denken Sie, dass wir in der Schule heutzutage wirklich auf das Leben vorbereitet werden?
Bach: Also, ich glaube zum einen, dass „Jugend forscht” ein zentrales Gebiet ist, bei dem für das Leben gelernt wird. Das zweite, was ähnlich ist, ist „Jugend debattiert”. Ich finde, dass sich auszudrücken, argumentieren zu lernen eines der wichtigsten Instrumente und ganz konkrete Lebensvorbereitung ist. Auch einen gewissen Bildungskanon erachte ich insofern als wesentlich, als man als Gesellschaft gemeinsame Anknüpfungspunkte hat und jeder versteht, was mit bestimmten Zitaten gemeint ist. In der Antike bestand so ein Bezugspunkt in den Erzählungen Homers. So etwas geht mehr und mehr verloren, was ich sehr schade finde. Auch das empfinde ich als Vorbereitung aufs Leben, dass man gewisse kulturelle Gemeinsamkeiten hat.
Belize: Wir haben ja eben darüber gesprochen, welche Anforderungen die Schule bereits erfüllt. Wenn Sie sich das aktuelle Bildungssystem anschauen, was wären Punkte, die Sie für reformbedürftig erachten, wo neue Räume entstehen sollten?
Bach: Etwas ganz Wesentliches ist, dass wir von Noten wegkommen. Schüler lernen für Noten. Das ist leider so. Aber bei „Jugend forscht” und auch „Jugend debattiert” sieht man etwas anderes: Schüler arbeiten an Inhalten. Natürlich weiß ich, dass es schwer ist, jemanden für einen Lateintest zu motivieren mit den Worten: „Du lernst fürs Leben”. Trotzdem müssen wir von dieser durchgängigen Notenorientierung dringend abkommen. Dieses Feilschen am Ende des Schuljahres ist doch schrecklich. Aber um auf Noten verzichten zu können, müsste natürlich das gesamte Schulsystem umgebaut werden. Ich stelle mir vermehrt ein projektmäßiges Lernen vor, wo Schüler in Interessengruppen zusammensitzen und gemeinsam etwas erforschen.
Lena: Nun haben wir bereits über mögliche Zukunftsszenarien im Bildungssystem gesprochen. Zum Abschluss möchten wir Sie noch als Philosoph fragen: Welche zukünftigen Herausforderungen sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten?
Bach: Die Frage nach dem Menschen natürlich. In Bezug auf die künstliche Intelligenz und in Bezug auf technische Möglichkeiten. Es ist absolut notwendig, da Orientierung zu haben.
Was ist der Mensch und wie soll er mit den Herausforderungen umgehen?
Lena: Und welches Gremium, welche Gruppierung sollte sich mit diesen Fragen befassen?
Bach: Ich denke, dass die großen Tech-Unternehmen, die momentan unsere Wirtschaft steuern, so etwas wie einen ethischen Beirat brauchen, der sich damit beschäftigt.
Lena: Dann bedanken wir uns ganz herzlich für Ihre Antworten und das schöne Gespräch.
Bach: Mir hat es auch sehr viel Spaß gemacht und ich bin ganz erstaunt, wie lange wir uns interessant unterhalten haben.