Aus dem Jahrbuch 2021: Erhard Bach im Interview

Dieser Beitrag erschien im Jahrbuch 2021: Erhard Bach, der 23 Jahre am GOA Latein und Philosophie unterrichtete, blickt in diesem Interview zurück auf seine Zeit am GOA und nach vorn auf das Leben nach der Schule. Das Interview führten Belize Acharya und Lena Rüschpler, die 2021 ihr Abitur am Gymnasium Oberalster machten.

Salvete discipuli! – Salve magister!, tönte es unzählige Male aus dem Fremdsprachenraum 1, seinem langjährigen Kabinett. Wie bereits die Verwendung des Präteritums im letzten Satz verrät, ist dieses Kapitel seines Lebens nach 23 Jahren am GOA nun vorerst abgeschlossen und mit seinem Eintritt in die Pensionierung wird ein neues geschrieben. Natürlich freut uns das einerseits für ihn. Andererseits werden seine Person und Fähigkeiten dem GOA sehr fehlen. Dies haben wir uns zum Anlass genommen, ihn mit einem abschließenden Interview in den Annalen unserer Schule zu verewigen.

Ob als Philologe und Philosoph, Caesar-Connaisseur und Kant-Kenner oder Erfinder legendärer Vokabeltests – unter Schüler*innen ist er in vielerlei Hinsicht bekannt. Dass er zudem die Kunst des Zauberns beherrscht, wissen jedoch deutlich weniger. Dass er außerdem ein aufstrebender Pilzexperte ist, davon wissen nur die wenigsten. Und sicherlich werden gleich zahlreiche neue Erkenntnisse folgen.

Willkommen Erhard Bach!

 

Lena: Im Vorfeld zu diesem Interview haben wir uns bei einigen unserer ehemaligen Mitschüler:innen nach Fragen erkundigt, die wir Ihnen stellen sollten. Mit zweien davon würde ich gerne einsteigen. Welcher ist eigentlich Ihr Lieblingspilz?

Bach: Ich habe zwei Lieblingspilze. Der erste ist der orangefuchsige Rauhut. Das ist der Pilz, den man seinem Lieblingsfeind in einem leckeren Pilzgericht zubereiten sollte. Denn nach Verzehr passiert 14 Tage lang nichts, bis er plötzlich stirbt, weil der Pilz seine Nieren zerstört hat. Ansonsten ist mein Lieblingspilz natürlich der Steinpilz, ganz klassisch zubereitet mit Butter und Salz.

Lena: Die zweite Frage, mit der wir beauftragt wurden, lautet: Haben Sie schon einmal eine Toga getragen und wenn ja, zu welchem Anlass?

Bach: Ja, am Tag der Offenen Tür, vor vielen Jahren. Da hatte eine Mutter mal eine Toga genäht, die leider viel zu klein war, mit nur 3 Metern im Durchmesser. Die wirklichen Togen damals hatten ja einen Durchmesser von mindestens 5 Metern.

Belize: Wir sprachen ja vorhin bereits von Ihren zahlreichen Interessen. Nun ist es für uns natürlich interessant zu wissen, welchen Beruf Sie wählen würden, wenn Sie heute noch einmal vor der Berufswahl stünden, wenn Ihnen alles freistehen würde.

Bach: Ich glaube, es hätte mir Spaß gemacht, so etwas wie Tier- oder Naturfilmer zu werden. Dieses Reisen und die Beschäftigung mit den ökologischen Zusammenhängen finde ich total spannend.

Lena: Ihre Fächer Philosophie und Latein zählen ja zum sprachlich- geisteswissenschaftlichen Bereich, wenn Sie aber von ökologischen Zusammenhängen sprechen, gehört das ja eher in die naturwissenschaftliche Rubrik. Womit beschäftigen Sie sich denn jetzt als Pensionär lieber?

Bach: Das ist ganz unterschiedlich. Ich habe zuhause zwei wunderbare Forschungsmikroskope stehen. Damit untersuche ich zuhause Wasserproben und Pflanzenschnitte. Ich bin in Hamburg auch in der „Mikrogruppe“, einem naturwissenschaftlichen Verein, aber mich interessiert zudem sehr die Technik, die dahintersteckt. Ich habe auch ein Teleskop, das aber im Keller steht. Momentan widme ich mich aber in erster Linie der Musik und habe auch eine Band, mit der ich vor allem Jazz und Swing spiele.

Lena: Haben Sie das Gefühl, dass Sie Ihren vielen Leidenschaften jetzt in besonderer Weise nachgehen können, wo Sie vom Schuldienst entbunden sind?

Bach: Ja, definitiv. Sie stehen deutlich mehr im Zentrum. Seien es das Klettern in den Alpen, Pflanzenbestimmungen oder meine Band, mit der ich Jazz spiele. Ich habe jetzt auch vor, Gesangsunterricht zu nehmen. Mal sehen, was meine Nachbarn davon halten. Also, seit ich pensioniert bin, habe ich eigentlich keine Zeit mehr.

Belize: Sie haben ja über Jahrzehnte Erfahrung im Umgang mit Schüler:innen sammeln können. Was, würden Sie sagen, macht einen guten Lehrer aus und wie sollte sich im Idealfall das Schüler-Lehrer-Verhältnis gestalten, sodass beide Seiten davon profitieren können?

Bach: Die wesentliche Voraussetzung, um überhaupt Lehrer sein zu können, ist, dass man Menschen und auch Schüler mag und dass man gerne mit ihnen redet. Das zweite ist, dass man auch wissen sollte, was man eigentlich genau vermitteln will. Und das dritte ist, dass man klar kommuniziert, was man von den Schülern erwartet. Dazu kommt natürlich die sehr interessante Frage nach der Disziplin. Ich war früher sehr streng. Strenge und klare Ansagen haben auch etwas an sich, das viele Schüler schätzen. Später habe ich dann mehr Humor in den Unterricht eingebracht.

Lena: Ich habe gehört, dass Sie mit Ihren Kursen ganz besondere Tests geschrieben haben, wo Spickzettel erlaubt waren?

Bach: Jein. Ab der achten Klasse gab es pro Test immer einen Schüler, der schummeln durfte. Eine Woche im Voraus wurde ein Säckchen mit Murmeln herumgegeben, darunter eine beson-dere, die Schummelmurmel. Im Anschluss legte jeder die gezogene Murmel zurück, mit Ausnahme desjenigen mit der Schummelmurmel, der nur so tat, als lege er sie zurück und sie bis zum Test behielt. Diese Person durfte schummeln, musste aber hinterher ihre Methode verraten, sofern ich sie nicht herausfand. Das hatte für mich viele Vorteile. Ich durfte herumlaufen und aufpassen wie ein Luchs und das wurde von der Klasse akzeptiert. Vor allem habe ich dabei auch einige kreative Schummelformen gelernt. Die besten habe ich aufgehoben und zuhause in meinem Museum, einer Glasvitrine, ausgestellt und eine Auswahl davon habe ich euch heute mitgebracht. Hier haben wir ein nachgemachtes Wasserflaschenetikett. So kann man trinken und sich nebenbei die Stammformen angucken. Das hier ist ein klassisches Tempo-Taschentuch. Auffalten, reinschnäuzen, zusammenknüllen, wegwerfen – und ganz klein kopiert ist hier ein Spickzettel eingeklebt. Ein weiteres Highlight war die Verwendung der Daumenspitze, mit der ein Schüler, der auch in meinem Zauberkurs war, Schummelzettel verschwinden ließ.

Lena: Da haben sie ihm selbst das Werkzeug gegeben.

Bach: Der hat natürlich eine 1 geschrieben und die Note dann auch bekommen. Aber manchmal kam es tatsächlich vor, dass die Schummelmurmel verkauft wurde. Die Betroffenen wurden dann aus dem Verfahren ausgeschlossen.

Belize: A propos kaufen. Ich kann mich auch erinnern, dass wir in unseren Lateinarbeiten Vokabeln kaufen konnten.

Bach: Ja, das kostete einen Fehler. In Latein ist es ja sehr ärgerlich, wenn einem beispielsweise nur ein Verb fehlt und man daraufhin den gesamten Satz versemmelt. Es ist natürlich auch immer eine Frage der Klugheit, welche Vokabel man kauft und welche man rät.

Belize: Was macht denn Latein Ihrer Meinung nach als Fach so lohnenswert?

Bach: Wenn ich die verschiedenen Fächer nach ihrer Wichtigkeit für mich und die Gesellschaft bewerten sollte, dann denke ich, dass Naturwissenschaften, Deutsch und Englisch den Kern darstellen. Ohne Englisch kann man heutzutage keine Fachliteratur lesen, ohne Naturwissenschaften die Welt nicht verstehen und weiterbringen und ohne Deutsch kann man sich nicht ausdrücken. Welche Rolle spielt hier Latein? Ich habe viele Jahre lang Werbeveranstaltungen für Latein gemacht und dabei immer drei Sachen herausgestellt. Erstens lernen wir Latein, um die Gegenwart zu verstehen, vor der Folie der Antike. Was bedeutet die Freiheit, die wir haben? Was bedeutet die Uhrzeit? Das zweite ist, dass man tatsächlich Lernen, Pauken lernen kann. Wir leben ja heute in einer Welt, wo man möglichst alles verstehen und Kompetenzen erwerben soll, aber Latein ist etwas, wo man richtig pauken und lernen muss. Und das dritte ist, dass man Latein lernen kann, um Deutsch zu lernen.

Belize: Dann kommen wir jetzt zu einem lateinischen Zitat, mit dem wir Dative gelernt haben, und zwar: „non scholae sed vitae discimus” – „nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir”. Inwiefern denken Sie, dass wir in der Schule heutzutage wirklich auf das Leben vorbereitet werden?

Bach: Also, ich glaube zum einen, dass „Jugend forscht” ein zentrales Gebiet ist, bei dem für das Leben gelernt wird. Das zweite, was ähnlich ist, ist „Jugend debattiert”. Ich finde, dass sich auszudrücken, argumentieren zu lernen eines der wichtigsten Instrumente und ganz konkrete Lebensvorbereitung ist. Auch einen gewissen Bildungskanon erachte ich insofern als wesentlich, als man als Gesellschaft gemeinsame Anknüpfungspunkte hat und jeder versteht, was mit bestimmten Zitaten gemeint ist. In der Antike bestand so ein Bezugspunkt in den Erzählungen Homers. So etwas geht mehr und mehr verloren, was ich sehr schade finde. Auch das empfinde ich als Vorbereitung aufs Leben, dass man gewisse kulturelle Gemeinsamkeiten hat.

Belize: Wir haben ja eben darüber gesprochen, welche Anforderungen die Schule bereits erfüllt. Wenn Sie sich das aktuelle Bildungssystem anschauen, was wären Punkte, die Sie für reformbedürftig erachten, wo neue Räume entstehen sollten?

Bach: Etwas ganz Wesentliches ist, dass wir von Noten wegkommen. Schüler lernen für Noten. Das ist leider so. Aber bei „Jugend forscht” und auch „Jugend debattiert” sieht man etwas anderes: Schüler arbeiten an Inhalten. Natürlich weiß ich, dass es schwer ist, jemanden für einen Lateintest zu motivieren mit den Worten: „Du lernst fürs Leben”. Trotzdem müssen wir von dieser durchgängigen Notenorientierung dringend abkommen. Dieses Feilschen am Ende des Schuljahres ist doch schrecklich. Aber um auf Noten verzichten zu können, müsste natürlich das gesamte Schulsystem umgebaut werden. Ich stelle mir vermehrt ein projektmäßiges Lernen vor, wo Schüler in Interessengruppen zusammensitzen und gemeinsam etwas erforschen.

Lena: Nun haben wir bereits über mögliche Zukunftsszenarien im Bildungssystem gesprochen. Zum Abschluss möchten wir Sie noch als Philosoph fragen: Welche zukünftigen Herausforderungen sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten?

Bach: Die Frage nach dem Menschen natürlich. In Bezug auf die künstliche Intelligenz und in Bezug auf technische Möglichkeiten. Es ist absolut notwendig, da Orientierung zu haben.
Was ist der Mensch und wie soll er mit den Herausforderungen umgehen?

Lena: Und welches Gremium, welche Gruppierung sollte sich mit diesen Fragen befassen?

Bach: Ich denke, dass die großen Tech-Unternehmen, die momentan unsere Wirtschaft steuern, so etwas wie einen ethischen Beirat brauchen, der sich damit beschäftigt.

Lena: Dann bedanken wir uns ganz herzlich für Ihre Antworten und das schöne Gespräch.

Bach: Mir hat es auch sehr viel Spaß gemacht und ich bin ganz erstaunt, wie lange wir uns interessant unterhalten haben.