Energiesparmodus
Es war nicht leicht mir einen Weg durch die Schülermengen zu bahnen. Stur starrten sie geradeaus, auf den Schulfur hinter mir zusteuernd, ganz automatisch. Alle drei Sekunden mich anrempelnd, ganz egal. Sie merkten dies nicht. Für sie ging es weiter. So war es schließlich immer. Zu viele Kommentare, zu wenig Likes und machte man dann mal einen Fehler, dann wurde man ganz einfach gelöscht.
Ich erreichte schließlich mein Ziel. Eine kleine, abgelegene Abstellkammer, die unser Hausmeister früher als Büro genutzt hatte. Grau und verstaubt war sie. Wie eigentlich alles. Nur der Bildschirm eines Laptops strahlte mich an. Gelblich und warm. Das war selten. Meine Tasche stellte ich auf den Boden ab. Ich schloss die Tür. Das Summen von draußen verstummte. Erschöpft sackte ich auf den kleinen Hocker, der einmal laut knarzte, dann dreimal knackte und sich dann beruhigte. So war es schließlich immer. Meine Finger fanden die Maus, sprangen über die Tastatur und gähnend erwachte der Computer. Langsam kam sein Kreislauf in Schwung und er zeigte mir unser Gespräch. Lange kannte ich ihn noch nicht. Ich wusste, dass er auf meine Schule ging, in seiner Freizeit gerne Filme schaute, der Welt entfloh.
Und Worte wurden Zeichen. Ich wartete. Geduldig. Doch heute keine Antwort. Einmal Hochscrollen und der Computer ließ die Gespräche in Revue passieren.
- Beschreibe dich in drei Worten, hatte er gesagt.
- Schüchtern, mutig und hoffnungsvoll.
- Wie passt das zusammen?
- Ich bin schüchtern unter Menschen und mutig genau hier.
- Okay.
Mehr hatte er nicht gebraucht, um mich zu verstehen.
- Wer bist du? In drei Worten.
- Groß, chaotisch und nervös.
Etwas später dann:
- Wir sollten weg von hier. Mir geht die Energie aus.
- Wohin? Es ist doch anderswo nicht anders.
- Wir sollten weg von hier, hatte er nur geantwortet.
Das war die letzte Nachricht. Von gestern.
Und während ich das Datum, jede einzelne Zahl genau betrachtete, begannen die Farben des Bildschirms zu zittern. „Akkustand niedrig“, teilte mir der Computer mit. Den Arm unter den Tisch streckend, tastete ich nach dem Kabel. Doch da war nichts. Kein Kabel. Keine Speiseröhre. Kein Essen. Ich wollte gerade unter den Tisch krabbeln und nochmal nachschauen, besser, gründlicher, als es plötzlich dreimal klopfte. Sehr regelmäßig. Tock, Tock, Tock. Ich horchte auf.
Die Tür öffnete sich. Stille.
Ich blickte den Jungen an, der nun vor mir stand. 1,85m. Dunkle, in alle Richtungen abstehende Haare. Mit dem Fuß auf und ab wippend. Groß, chaotisch, nervös.
„Du solltest nicht hier sein“, sagte er langsam.
Dann drehte er sich um, schloss die Tür und verschwand.
So war es schließlich immer…
Winona Witten