Erinnern an Lucille Eichengreen

Gedenkveranstaltung am 13.9.2024 – unter Mitwirkung von Linda Eggert und Lilli Albrecht

Am 13. September 1944 wurde im Stadtteil Sasel ein Außenlager des KZ Neuengamme eingerichtet. Über 500 überwiegend jüdische Frauen mussten hier Zwangsarbeit u.a. für den Bau von Behelfsunterkünften („Plattenhäuser“) leisten. Eine von ihnen war Lucille Eichengreen.

80 Jähre später wurde nun am Freitag, dem 13. September 2024, um 17.30 am Gedenkort zum KZ-Außenlager Sasel (Feldblumenweg 1d/ Ecke Petunienweg) eine Erinnerungstafel (Stele) für Lucille Eichengreen eingeweiht. Diese ist Teil des „Wandsbeker Wegs der Erinnerung an Verfolgung und Widerstand im Nationalsozialismus“, der von der Bezirksversammlung Wandsbek initiiert wurde. Stelen an verschiedenen Orten des Bezirks widmen sich beispielhaft einzelnen Verfolgten oder Kämpferinnen und Kämpfern des Widerstands im Nationalsozialismus mit Bezug zum Bezirk Wandsbek.

Auf der Gedenkveranstaltung trugen Linda Eggert und Lilli Albrecht einen Text zu Lucille Eichengreen vor, der in der Projektwoche im Juli im Rahmen des Geschichtsprojektes von Linda Eggert und Juna Becherer erarbeitet worden war.

In diesem heißt es:

„Arbeitslager Sasel, Stehenbleiben verboten“, stand an dem Tor des Konzentrationslagers Sasel und zeigt recht eindeutig, wie hart und rücksichtslos die damalige Herrschaft und das Leben in den Lagern war.

Das Konzentrationslager Sasel war ein Außenlager des KZs Neuengamme, welches am Rande Hamburgs lag. Das Frauenlager wurde am 13. September 1944 von der SS errichtet und hatte ca. 500 Insassen. Die Insassen waren größtenteils polnische Jüdinnen. Das mit Stacheldraht umzäunte KZ war ca. 300 mal 200 m groß und lag zwischen den Straßen: Feldblumenweg, Hohensasel, Mellingburgredder und dem Saseler Mühlenweg bzw. Aalkrautweg. Ein Großteil der Häftlinge war bei dem Bau „Plattenbüttels“ beteiligt. Dies war eine Ansiedlung an Plattenbauten, die der Unterbringung von Wohnungslosen diente.  Einige Insassen wurden auch mit der S-Bahn in die Innenstadt transportiert, um dort Aufräumarbeiten in zerbombten Gegenden zu verrichten.

Bei Angriffen hatten die Gefangenen keine Möglichkeiten, Schutz aufzusuchen. In dem Außenlager Sasel starben insgesamt 35 Frauen an Erschöpfung oder schlechter oder ausbleibender medizinischer Versorgung.

„Ich kann nicht vergessen und nicht vergeben.“, ist ein Satz, den einst Lucille Eichengreen bezüglich ihrer Holocaust-Erfahrungen sagte. Lucille Eichengreen war unter anderem im KZ Sasel eingesperrt.

Lucille Eichengreen kam am 1. Februar 1925, unter ihrem Mädchennamen Cecilie Landau, in Hamburg zu Welt. Sie wuchs mit ihren Eltern und einer kleinen Schwester im jüdischen Glauben auf. Im Jahr 1933 begann sie, erste Ausgrenzungen und Verachtung gegenüber Juden zu bemerken und hörte erstmalig Begriffe wie Antisemitismus.

1938 wurde Lucilles Vater im Zuge der sogenannten „Polenaktion“ abgeschoben. Im Mai 1939 konnte er wieder zu seiner Familie zurückkehren, die auf Auswanderungspapiere wartete. Gleich am 1. September, zu Krigsbeginn, wurde Lucilles Vater verhaftet und letztendlich am 31. Januar 1941 im KZ Dachau ermordet.

Im Herbst 1941 wurden Lucille, ihre Mutter und ihre Schwester in das Ghetto Lodz deportiert. Dort starb ihre Mutter am 13. Juli 1942 an Unterernährung. Ihre Schwester wurde ca. zwei Monate später nach Chelmo transportiert und dort umgebracht. Im August 1944 verbrachte sie einige Wochen im Konzentrationslager Auschwitz, wo die Bedingungen so schlimm waren, dass viele Insassen Selbstmordgedanken hatten.

Im Sommer 1944 erhielt die Lagerleitung des KZ-Ausschwitz eine „Häftlingsanforderung“ aus Hamburg. Daraufhin wurde Lucille Eichengreen in ein Außenlager des Arbeitslagers Neuengamme deportiert. Zuerst verbrachte sie vier Wochen im Außenlager Dessauer Ufer, wo sie in einer Werft arbeiten musste. Danach brachte die SS sie ins Außenlager Sasel, wo sie bis zum April 1945 blieb und Aufräumarbeiten verrichten musste.

Anschließend musste sie, nach der Evakuierung der Hamburger Konzentrationslager, kurz vor Kriegsende ins KZ Bergen-Belsen, in dem kurz vor Kriegsende Tausende an Unterernährung und Krankheiten starben. Nach der Befreiung durch englische Soldaten am 15. April 1945 blieb sie einige Zeit lang freiwillig dort, um als Dolmetscherin für die Briten zu arbeiten.

Da sie die Adressen von mehreren Kriegsverbrechern der SS, die sie sich in Sasel gemerkt hatte, an die Briten weitergab, was zu mehreren Festnahmen führte, wurde sie zu ihrem eigenen Schutz nach Paris gebracht. Von dort aus wanderte sie 1946 in die USA aus, wo sie am 7. November 1946 ihren Mann Dan Eichengreen heiratete.

Wenige Jahre später schrieb sie ein Buch über ihre Erinnerungen und hielt mehrere Vorträge in Deutschland, um jüngere Menschen über die damaligen Verbrechen aufzuklären. Für diese Verdienste erhielt sie 2009 die Hamburgische Ehrendenkmünze.

Wenige Tage nach ihrem 95. Geburtstag verstarb sie am 07. Februar 2020 in Kalifornien.

In einem mit ihr geführten Interview sagte sie Folgendes:

„LE: Die Arbeit war schwierig, denn es war Winter, es hat geschneit und geregnet. Wir hatten nur zerlumpte Kleider und so etwas Ähnliches wie einen Mantel. Der hatte einen gelben Streifen, von oben bis unten. Wir hatten kahl geschorene Köpfe, es war furchtbar kalt. Und jede von uns bekam Lungenentzündungen, Tuberkulose, und wir haben einfach gearbeitet, mit Blutigen Händen. Es gab keine Wahl.

I: Sie schildern das sehr eindringlich und anschaulich. Haben Sie sich unmittelbar nach dem Krieg schon Notizen gemacht?

LE: Mein Gedächtnis ist ziemlich akkurat, ich konnte mir damals zum Beispiel die Namen und Adressen jener 40 SS-Leute merken, die uns im Außenlager Sasel bewachten, ohne Papier, ohne Bleistift.

I: Das heißt, Sie sind vom Dessauer Ufer nach Sasel gekommen, in ein weiteres Außenlager von Neuengamme.

LE: Das war ein neugebautes Barackenlager. Wir sind mit der S-Bahn in die Hamburger Innenstadt gefahren oder nach Barmbek oder wo immer wir Bombenschutt wegräumen mussten. Wir waren aber nicht lange dort, schließlich hat man uns alle in ein großes Sammellager gebracht, wahrscheinlich weil der Krieg zu Ende ging, nach Bergen-Belsen.

I: Empfinden Sie so etwas wie Bitterkeit den Deutschen gegenüber?

LE: Nein, weder Hass noch Bitterkeit. Aber ich kann nicht vergessen und nicht vergeben.

Denn meine ganze Familie ist umgekommen.“

Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass jeder versucht, sich die damaligen Umstände vorzustellen und dabei immer die wenigen existierenden Bilder im Kopf hat. Jedoch kann sich keiner, der in der heutigen Zeit lebt und nicht in einem solchen KZ gefangen war, sich in die damalige Lage hineinversetzen. Keiner kann die Demütigung, den Schmerz oder die Verachtung nachvollziehen. Wir alle denken, dass so etwas unter keinen Umständen noch einmal passieren darf oder kann. Wenn man jedoch bedenkt, dass weiterhin Kriege geführt und Bevölkerungsgruppen verfolgt, eingesperrt, misshandelt und ermordet werden, kann man sich nicht mehr so sicher sein. Daher ist es umso wichtiger, weiterhin über die damaligen Verbrechen zu berichten. Es muss auch ohne Zeitzeugen weiterhin vermittelt werden, was aus Hass kombiniert mit Macht entstehen kann.

Daher müssen wir für alle Zeit festhalten:

Nie wieder!“

 

Dr. Helge Schröder