Respekt und Mut – Elternrede zur Abiturentlassungsfeier 2024

I.
Zunächst: RESPEKT

Ich gratuliere dem Jahrgang 2024, der class of 24, des Gymnasiums Oberalster im Namen der Eltern sehr herzlich zum Abitur!
Diese Tage gehören Euch. Abitur geschafft, Sommer vor Euch, die Welt steht Euch offen.
Allen, in der Unterschiedlichkeit Eurer Talente, Eurer Träume und in der Unterschiedlichkeit Eurer Herkünfte. Es wird diese Unterschiedlichkeit sein, die Eure Generation stark macht, befähigt.
Ihr habt, wie jede Generation, nicht nur Anspruch auf unseren Respekt für Eure schulischen Leistungen bis hierhin und Eure Lebenswünsche, sondern auch Anspruch auf Leichtigkeit und Zuversicht. Genießt den Sommer. Nehmt gründlich Abschied. Und brecht mutig auf.
Überhaupt Mut.
Wenn es irgendetwas aus diesen acht Minuten Elternrede gibt, das wir Eltern Euch mitgeben wollen, und ich bin zuversichtlich, dass ich hierin für alle in diesem Saal spreche, dann das:
Mut.

Seid besonnen, aber mutig in dem, was ihr tut.

Ich weiß, ihr könnt Shakespeare vermutlich nicht mehr hören, aber vielleicht kehrt ihr irgendwann zu ihm zurück, ziemlich kluger Kerl. Im vierten Akt von Heinrich V. ist dies zu finden:
„’tis true that we are in great danger; The greater therefore should our courage be.“
Ihr werdet eine Welt, ob im Großen oder Kleinen, zu gestalten haben, die ziemlich herausfordernd ist. Euer solidarisches Verhalten in der Pandemie, Eure Fürsorge für die Generation Eurer Großeltern und Euer vielleicht nicht immer ganz freiwilliger Verzicht in dieser Zeit von COVID 19 hat Euch unerwartet einen Vorgeschmack darauf gegeben, dass das nicht immer so einfach ist, mit diesem einen Leben.
Und doch: Es ging vorbei, ihr habt daran mitgewirkt – und es waren kluge Forscher wie die BionTech Gründer:innen Özlem Türeci und Ugur Sahin, die auf diese Herausforderung eine Lösung gefunden haben.
Nehmt das als Inspiration, dass das Wissen, das ihr von hier mitnehmt, aber auch Eure soziale Kompetenz und eine zugewandte, aufrechte Haltung in dieser Welt einen Unterschied machen – nicht die Anzahl Eurer Follower oder die krasseste Provokation. Seid klug – und seid „besinnungslos mutig“, wie Gerd Bucerius, der Erfinder der Wochenzeitung die ZEIT einmal über Marion Gräfin Dönhoff, die langjährige Herausgeberin dieser Wochenzeitung, gesagt hat.
Klug und besinnungslos mutig zugleich.

II.
Sodann RESPEKT nicht nur den Abiturientinnen und Abiturienten, sondern auch dem Kollegium des Gymnasiums Oberalster und allen, vom Schulsekretariat, den Hausmeistern bis zu der Schulleitung, den profilleitenden Lehrerinnen und Lehrern und Frau Dr. Born als Oberstufenkoordinatorin, allen, die am Gelingen für Euch mitgewirkt haben.
Von der Filmemacherin Doris Dörrie stammt die Formulierung „am Strand fegen“. Lehrerin oder Lehrer zu sein muss sich, so habe ich über 15 Jahre Elternsein am GOA manchmal gedacht, wie „am Strand fegen“ anfühlen. Täglich grüßt das Murmeltier, oft dieselben Themen, in jedem Fall immer dieselbe Pubertät. Und doch: Ich habe viel Inspiration daraus mitgenommen, dass diese Schule ein Kollegium hat, das sich immer wieder auf den Weg macht, neugierig ist, versucht, fair und wertschätzend zu sein.
Es ist heikel, hier einzelne herauszugreifen, jede Schülerin, jeder Schüler hat sicher einen eigenen Blick auf einzelne Lehrerinnen und Lehrer. Ich wage es hier trotzdem einmal, beispielhaft, aber pars pro toto in großer Wertschätzung für das ganze Kollegium. Schule ist im besten Fall weit mehr als lesen schreiben rechnen, sie ist Bildung UND Erziehung, Wissen UND Haltung – sie war vor allem der Alltag unserer Kinder.
Darin leidenschaftlichen Querköpfen wie Anil Advani zu begegnen, ist wichtig. Ein Lehrer, der seit Jahren mit Herzblut die Band dieser Schule zusammenholt, wie es bei den Blues Brothers heißt, für die Schulleitung nicht immer leichtgängig, aber ein extrem cooler Typ, der Leidenschaft sät, für Musik, für das Miteinander tun, auch für den schrägen Humor. Oder so eine Überzeugungstäterin wie Dagmar Reichle, die für das Theater lebt, nicht müde wird, sich der Pubertät zu stellen. Und, erlauben Sie den nochmaligen Dank, Frau Dr. Born als Oberstufenkoordinatorin, die nicht nur diese Aufgabe mit einer unglaublichen Professionalität, pädagogischen Fachkunde und Umsicht versieht, sondern dazu als Lehrerin Begeisterung in einem Alter für Philosophie wecken kann, in dem tausend andere Dinge eigentlich wichtiger scheinen.
Diese Liste könnte ich lange fortführen, will scheidenden Lehrern wie Herrn Große danken, langjährigen Wegbegleiterinnen wie Frau Bremer, Herrn Ballmaier oder Herrn Möhring und kann doch aus Zeitgründen nur einmal laut und deutlich Ihrem Kollegium insgesamt, lieber Herr Widmann, RESPEKT und danke sagen.

III.
Schließlich wir Eltern. Auch hier RESPEKT – und ein sich dreifach Ehrlich-machen:
Denn wenn man in unserer Generation genau hinschaut – und dazu noch die Befunde beobachtet, die die Empirie während der Pandemie gesammelt hat – dann lag die Hauptlast, unsere gemeinsamen Kinder ins Leben zu führen und sie auf ihrem schulischen Weg zu begleiten, bei den Frauen, die hier im Saal sitzen, den Müttern.
Keine Sorge, hier folgt jetzt keine Überhöhung eines aus der Zeit gefallenen Mutterideals, sondern das nüchterne Anerkenntnis einer fortdauernden gesellschaftlichen Realität verbunden mit einer Respektsbezeugung, die nicht so sehr den Buffetbeitrag oder Fahrservice, sondern das Dran-bleiben, Kinder sehen, Kinder klug auffangen, ihnen Richtung geben und Mut machen meint.

Respekt und Danke.

Zugleich, liebe Abiturientinnen und Abiturienten: Jede Generation, jede Familie, jedes Paar wird und muss das neu verhandeln. Auch dazu Mut!
Zum Ehrlich-machen gehört aber auch, zum Zweiten, dass wir, jedenfalls die allermeisten hier im Alstertal, Teil einer komfortablen, aber hochproblematischen Blase sind. Schulerfolg in Deutschland ist bis heute maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängig. Auch hier, keine Sorge: Es folgt keine Schuldzuweisung, kein Appell ans schlechte Gewissen, erst recht keine Vorhaltung. Aber uns einmal daran zu erinnern, dass die meisten unserer Kinder mit dem Besuch des Gymnasiums Oberalster auf der extrem sonnigen Seite eines sozial sehr unvollkommenen und damit gesellschaftlich riskanten Bildungssystems groß geworden sind, dies zu reflektieren gehört für mich zur Integrität und Glaubwürdigkeit einer solchen Feier wie dieser hier, was immer jede Einzelne, jeder Einzelne daraus für Schlüsse ziehen mag.
Und schließlich ein drittes Ehrlich-machen, versöhnlicher, aber fordernd gleichwohl:
Auch wir Eltern brauchen Mut. Unsere Kinder, die keine mehr sind, gehen zu lassen. Auch das letzte Helikopter Rotorblatt schweigen zu lassen und uns daran zu freuen, dass aus Menschen, die auf uns angewiesen waren, nun Freunde und Weggefährten werden.
„Learn to fly,“, so heißt es in einer Zeile des von mir so geschätzten Beatles Song „Blackbird“. Und weiter:
„Learn to fly, all your life.
You were only waiting for this moment to arise!“
Euch allen herzlichen Glückwunsch zum Abitur, wir sind mit Euch stolz – RESPEKT!

* Ansgar und Meike Wimmer sind Eltern von Jonas, Janne, Moritz und Elias Wimmer, die im Zeitraum zwischen 2009 und 2024 das Gymnasium Oberalster besucht haben